Hamburg, 1. Dezember 2019
In der Nacht auf Sonntag, den 01.12.2019, haben wir ein Auto des Bosch Konzerns in Hamburg in der Gustav-Falke-Straße in Brand gesetzt. Der Bosch Konzern, stets bemüht um das Ansehen als der freundliche Bohrmaschinenhersteller von nebenan, ist tief in die Sicherheits- und Überwachungsindustrie verstrickt und arbeitet zunehmend mit der Rüstungsindustrie zusammen. Bosch formuliert es so: „Whatever your security needs, Bosch has an answer“ – wir haben auch eine Antwort! Und die lautet: Feuriger Widerstand gegen die Sicherheit der Autoritäten. Dies ist der zweite Anschlag einer Autonomen Feministischen Zelle (FAZ) im Rahmen einer Kampagne gegen die autoritäre Formierung.
Wer ist Bosch?Die Robert Bosch GmbH ist ein deutsches Unternehmen mit einem Umsatz von knapp 80 Milliarden Euro und über 400.000 Mitarbeiter*innen. [1] Bosch ist nicht nur Automobilzulieferer, Hersteller von Elektrowerkzeugen und Haushaltsgeräten, sondern auch führend im Bereich der Sicherheits- und Überwachungstechnik. Auch wenn Bosch nicht direkt an der Waffenproduktion beteiligt ist, gibt es zahlreiche Verbindungen zur Rüstungsindustrie. So ist der Konzern beispielsweise Gründungsmitglied des „Cyber Valley“ Projekts, einem Zusammenschluss von Industrie und Forschung mit einem Schwerpunkt auf Künstlicher Intelligenz (KI). Bosch legt dazu schon seit längerem einen Schwerpunkt auf KI-Forschung und betreibt in Renningen nahe Stuttgart ein eigenes Forschungszentrum, weitere Standorte sind im Aufbau. Laut eigenen Angaben soll „[d]er Traditionskonzern […] schon in zehn Jahren nur noch Dinge anbieten, die selbst über Künstliche Intelligenz verfügen oder zumindest mit entsprechenden Methoden hergestellt wurden.“ [2] Das heißt letztlich, dass beispielsweise die Kombination von Überwachungstechnik, eines der großen Geschäftsfelder von Bosch, mit Künstlicher Intelligenz direkt in Arbeit ist. Die sogenannte intelligente Videoanalysetechnik, die Bosch bereits verkauft, wird da wohl leider nur ein erster Schritt sein. [3]
Bosch ist auch seit Jahren ein Partner des Europäischen Polizeikongresses in Berlin. Dieser wirbt für den Kongress 2020 mit dem Motto „Rechtsstaat durchsetzen“ und fordert: „Das Netzwerk Sicherheit muss ganzheitlich funktionieren.“. [4] Darunter stellt sich der Kongress mit einem Blick auf die Partner des Kongresses wohl die Zusammenarbeit von Polizeien, Sicherheits- und Überwachungstechnologie-Konzernen wie Bosch oder Cognitech (Testlauf intelligente Videoüberwachung Berlin Südkreuz) mit Rüstungskonzernen wie Airbus, Rheinmetall und Heckler & Koch und rechten Akteuren wie der Gewerkschaft der Polizei vor. [5]Ausbau von Überwachung
Bosch arbeitet somit an dem derzeitigen Trend der massiven Ausweitung und Verbesserung von Videoüberwachung mit. Überall werden mehr Kameras aufgestellt, auf Bahnhöfen, in Zügen und Bussen, an Autobahnen und in den Innenstädten. „Hersteller von Überwachungstechnik wie Bosch, Samsung oder Sony setzten 2014 weltweit rund 23,5 Milliarden Dollar um, Marktforscher prognostizieren ihnen auf Jahre hinaus zweistellige Zuwachsraten.“ so eine arte Doku. [6] Dabei kommt immer mehr auch intelligente Videoüberwachungssoftware, wie sie Bosch anbietet, zum Einsatz. Bekanntestes Beispiel dürfte dazu das Projekt „Sicherheitsbahnhof“ der Bahn zusammen mit BKA und Bundespolizei am Berliner Südkreuz sein. [7]
Viele Akteure tragen zu den autoritären Tendenzen und dem Ausbau des Überwachungsstaates bei. Dabei spielen Konzerne wie Bosch oder Amazon, die ihre Produkte nun einmal verkaufen wollen und somit einen Markt dafür schaffen müssen, eine große Rolle. Zudem finanzieren sie mit Millionen die Forschung an Sicherheitstechnologie. Aber auch staatliche Akteure wie die Polizeien und Ministerien, die Polizeigewerkschaften und die EU fördern den Ausbau politisch und finanziell. Die Beteiligung schlägt dabei einen großen Bogen von rassistisch aufgeladenen Sicherheitsdiskursen zu massiver Förderung von Erforschung und Entwicklung neuer Überwachungstechnologien. So gab die EU bereits vor Jahren „hunderte Millionen Euro für Forschungsprojekte aus, mit einem zweistelligen Millionenbetrag wurde etwa „Indect“ („Intelligentes Informationssystem zur Unterstützung von Überwachung, Suche und Erfassung von Bürgern in städtischen Räumen“) finanziert, das bis Ende 2013 lief.“ (arte) [8]
Das Interesse an der Erforschung Künstlicher Intelligenz verbindet verschiedene Akteure der autoritären Formierung, von Regierungen und Behörden über Überwachungstechnik herstellenden Konzernen wie Bosch, Technologie Riesen wie Amazon und Rüstungsindustrie und Militär.
KI-Forschung ist für die Rüstungsindustrie von großer Bedeutung, da sie z.B. für die beängstigend schnell ansteigende Zahl von Drohnen eine zentrale Wichtigkeit hat.Cyber Valley und BIC
Bosch ist Gründungsmitglied des Cyber Valley Projekts in Süddeutschland und finanziert dessen Aufbau gerade mit 35 Millionen. [9] Das Cyber Valley ist ein staatlich geförderter Zusammenschluss von Universitäten, Forschungsinstituten und Konzernen um gemeinsam zu KI zu forschen. Daran beteiligte Konzerne wie Amazon, gegen den sich bereits eine Aktion von uns richtete. [10] Amazon stellt Technologie beispielsweise dem US-Militär, Geheimdiensten und Polizei, [11] sowie der deutschen Polizei zur Verfügung. [12] Teil des Cyber Valley Projekts sind auch direkt Rüstungskonzerne wie das deutsche ‚Traditionsunternehmen‘ ZF Friedrichshafen, das unter anderem an Marine-Technologie und der Produktion von Militärfahrzeugen beteiligt ist. In derselben Region gelegen schließt sich das sogenannte Business Incubation Center (BIC), ein Projekt des Technologieparks Reutlingen Tübingen (TTR), der Kombination von Technologie-Großkonzernen und Rüstung an, dort arbeiten unter anderem Bosch mit Rüstungs-Riesen wie Airbus Defence und Space und dem Deutschen Zentrum Luft- und Raumfahrt (DLR) zusammen. Die letzteren beiden betreiben beispielsweise die Aufklärungs- und Kommunikationssatelliten des deutschen Militärs; Airbus baut bewaffnete Kampfdrohnen [13] und Militärhubschrauber. [14]
Das Cyber Valley als Zusammenschluss von Forschung, Industrie und Rüstung wird also auch in militärischer Hinsicht ermöglichen, dass neue Forschungsergebnisse rasch in die Praxis umgesetzt werden. Damit wird der Weg bereitet für einen weiteren Rüstungsstandort mit massiver staatlicher Förderung.NS-Vergangenheit des Konzerns
Bereits im Jahr 1933 verhandelte der Bosch Konzern mit den Nationalsozialisten, die den Konzern als zentral für ihre Aufrüstungs- und Kriegsbestrebungen ansahen. Robert Bosch, Gründer des Konzerns, willigte ein und in den Jahren 1935 und 1937 gründete Bosch in Kooperation mit den Nationalsozialisten zwei Verlagerungswerke im Inneren Deutschland in Berlin und Hildesheim. Diese sollten die Versorgung des deutschen Militärs mit wichtigen Teilen für Fahrzeuge und Flugzeuge sicherstellen und galten vom Standort als besser zu verteidigen als die nahe Frankreich gelegenen Werke Boschs bei Stuttgart. Die Werke entstanden unter Geheimhaltung und in direkter Zusammenarbeit mit den NS-Behörden. Sie dienten ausschließlich der Rüstungsproduktion. Somit war von Anfang an das Ziel der Werke – die Sicherstellung der Kriegsfähigkeit des nationalsozialistischen Deutschlands – offensichtlich. Während des Krieges dezentralisierte Bosch auf Anhalten der Nazis die Produktion immer weiter auf letztlich über 200 Stellen, um die Kriegsführung weiter zu ermöglichen. Bosch profitierte dabei prächtig von den Gräueln der Naziherrschaft und des Krieges, so steigerte sich beispielsweise der Umsatz des Bosch Tarnwerkes Dreilinden Maschinenbau GmbH bei Berlin, auf dessen Gelände sich das Außenlager Kleinmachnow des KZ-Ravensbrück befand, [15] von „700.000 RM im Jahr 1938 auf knapp 33 Millionen RM 1942“, im Werk arbeiteten tausende Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter*innen und KZ-Gefangene. [16] Auch wenn Bosch nicht der einzige Konzern war, der so direkt die Aufrüstung NS-Deutschlands mitermöglichte, trägt er doch als damals eines der größten Rüstungsunternehmen eine enorme Verantwortung. Obwohl ein Teil der Bosch Rüstungswerke aus der NS-Zeit nach dem Krieg zerstört wurden, profitierte der Konzern auch über 1945 hinaus von den Profiten aus der NS-Zeit und den dort entstandenen Strukturen. So konnte der Konzern beispielsweise die Elektro- und Feinmechanische Industrie GmbH, ein Tarnwerk zur Herstellung von unter anderem Panzerteilen in Hildesheim, auch nach dem Krieg behalten und diese wurde ab April 1952 offizieller Teil der Bosch GmbH. Hier wurden dann unter anderem die zu Bosch gehörenden überaus erfolgreichen Blaupunkt Radios hergestellt, die in den 1960 und 1970er Jahren zu einem der Marktführer wurden. [17] [18] So half Bosch unter Ausbeutung von Gefangenen des NS-Regimes zuerst im 2. Weltkrieg die Kriegsführung der Wehrmacht zu ermöglichen, da z.B. ab Oktober 1943 keine deutschen Panzer mehr ohne Teile von Bosch auskamen und profitierte nach der Befreiung Deutschlands dann auch noch von den aus der NS-Zeit stammenden Werken. [19]
Robert Bosch kann trotzdem nicht als überzeugter Nationalsozialist bezeichnet werden. Er trat für einen europäischen Frieden nach dem 1. Weltkrieg ein, rettete Juden vor der Deportation und unterstützte den Widerstandskreis um Goerdeler, einem national-konservativen Gegner Hitlers. [20]
Das hielt Robert Bosch und seinen Konzern jedoch keineswegs davon ab, Profite vor Menschenleben zu stellen. So forderte ein Vorstandsmitglied 1938: „unsere teilweise monopolartige Stellung als Automobilzubehör-Firma in Deutschland weiter unter allen Umständen zu halten und zu verteidigen“. [21] Konsequenz daraus war, dass der Konzern zu einem der wichtigsten Rüstungsunternehmen des Dritten Reiches wurde und Zwangsarbeiter*innen schon 1939 in seinen Werken einsetzte, später auch wie bereits erwähnt KZ-Gefangene. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Rolle des Konzerns in der Rüstungsproduktion ohne die Mittäterschaft der Bosch Entscheidungsträger*innen nicht möglich gewesen wäre. [22]Ein Auto unschädlich gemacht – was ist genau passiert?
Um das Auto in Brand zu setzen bedienten wir uns einer einfachen Methode. Wir legten Grillanzünder auf einen Vorderreifen und entzündeten ersteren. Die dabei entstehende Hitze setzt innerhalb weniger Minuten den Reifen in Brand, der dann genug Hitze entwickelt um den Rest des Fahrzeugs in Flammen aufgehen zu lassen. Die Methode ist denkbar einfach und abgesehen von den Flammen die von Anfang an zu sehen sind, recht unauffällig. Bei der Auswahl des Ortes sollte unbedingt auf die Umgebung geachtet werden, damit keine Häuser, etc. aus Versehen in Brand geraten. Auch andere Fahrzeuge, die zu nahe an dem Ziel stehen, können leicht mit in Brand gesetzt werden. Wie allgemein bei solchen Aktionen muss natürlich auf Spuren geachtet werden. Ein Vorteil ist dabei, dass eine Fehlzündung und somit das Zurückbleiben von unverbrannten Brandsätzen praktisch ausgeschlossen ist. Tragt aber unbedingt mehrere Lagen sauberer Handschuhe und achtet auch auf Schuhabdrücke.
Fazit
Online prankt zentral auf der Webseite des Bosch Konzerns die Ankündigung „Klimaschutz – Wie Bosch ab 2020 weltweit CO₂-neutral wird“ – wir hätten da einen Vorschlag: den Bosch Konzern zerschlagen, das wäre wirklicher Klimaschutz. Am 07. November ging es da schon mal in die richtige Richtung als ein Großbrand ein Bosch Werk zum Erliegen brachte. [23]
Der Bosch Konzern gibt sich viel Mühe ein harmloses freundliches Gesicht nach außen zu erhalten. Doch die Geschichte zeigt ein anderes Gesicht. Immer mehr ausgebaut werden die florierenden Geschäftsbereiche im Sicherheits- und Überwachungsbereich und der Erforschung und Vermarktung von mit Künstlicher Intelligenz versehener Produkte. Damit ist der Konzern, mal abgesehen davon, dass es keine ‚guten‘ Konzerne gibt, alles andere als harmlos und muss als ein Teil der Akteure gesehen werden, die das reaktionäre Klima und die Normalisierung allgegenwärtiger Überwachung und Kontrolle, explizit bestärken und in einer erschreckenden historischen Kontinuität vorantreiben.Daher: konsequent gegen die autoritäre Formierung – die Akteur*innen aufzeigen und angreifen!
Gruß und Kuss
eine Feminstische Autonome Zelle[1] https://assets.bosch.com/media/global/bosch_group/our_figures/pdf/bosch-heute-2019.pdf
[2] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/bosch-investiert-millionen-in-kuenstliche-intelligenz-15156050.html
[3] https://de.boschsecurity.com/de/produkte_1/softwareproducts/videosoftware_2/videoanalytics_1/videoanalytics_1_34639
[4] https://www.europaeischer-polizeikongress.de/partner/
[5] https://keinfreund-keinhelfer.de/blog/bayern-gdp-bayern-politisiert-von-rechts/
[6] https://info.arte.tv/de/big-brother-watching-europe
[7] https://netzpolitik.org/2017/projekt-sicherheitsbahnhof-intelligente-videoueberwachung-am-berliner-suedkreuz-startet-im-herbst/#spendenleiste
[8] https://info.arte.tv/de/big-brother-watching-europe
[9] https://www.bosch.com/de/stories/denners-view-kuenstliche-intelligenz-in-europa/
[10] https://de.indymedia.org/node/35771
[11] https://theintercept.com/2018/07/30/amazon-facial-recognition-police-military/
[12] https://www.n-tv.de/politik/Polizei-speichert-Bodycam-Daten-bei-Amazon-article20884689.html
[13] https://www.airbus.com/newsroom/press-releases/en/2018/06/Airbus-signs-contract-for-HERON-TP-drones-with-the-German-Armed-Forces.html
[14] https://www.deutschlandfunk.de/bundeswehr-neue-airbus-hubschrauber-bleiben-am-boden.2932.de.html?drn:news_id=1074540 und https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/airbus-der-konzern-hat-eine-verhaengnisvolle-naehe-zu-bundeswehr-planern-a-1287692.html
[15] http://www.wir-kleinmachnow.de/presseartikel/maz060902_gedenkstaette.html
[16] http://www.zwangsarbeit-bosch.de/firmengeschichte/elfitrillke-werke/
[17] Ebd.
[18] https://en.wikipedia.org/wiki/Blaupunkt#cite_note-White-8
[19] http://www.zwangsarbeit-bosch.de/firmengeschichte/elfitrillke-werke/
[20] https://www.welt.de/geschichte/article158250728/An-Robert-Bosch-biss-sich-die-NSDAP-die-Zaehne-aus.html
[21] http://www.zwangsarbeit-bosch.de/firmengeschichte/elfitrillke-werke/
[22] Ebd.
[23] https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/bamberg-millionenschaden-bei-brand-in-bosch-werk-16474275.html
Quelle: Email
Wir wollen nicht nur Statements zu Aktionen veröffentlichen, sondern auch die Prozesse und Gedanken teilen, die uns als Netzwerk und Gruppe beschäftigen. Wir wollen zeigen, dass unsere Aktionen nicht aus dem Nichts heraus passieren, sondern Teil einer gemeinsamen Vernetzung und Praxis sind. Wir wollen greifbar sein, keine abgehobene Aktivisti-Eliteklasse füttern, sondern uns als Menschen zeigen. Als Menschen, die zweifeln, die begehren, die miteinander lachen und die träumen.
Diesmal wollen wir euch mitnehmen zu einer Schlucht, in der wir gerade stehen, wo unsere Ansprüche sich an der Wirklichkeit stoßen. Wir wollen versuchen euch teilhaben zu lassen an unseren Widersprüchen und Fantasien trotz Repressionsrisiken im Hinterkopf. Wir wollen uns vom zunehmend totalitären Überwachungsstaat nicht daran hindern lassen, unsere Gedanken in Worte zu fassen; wollen nicht verstummen, sondern immer wieder aufschreien, präsent, freudvoll und wütend bleiben, miteinander den Sprung ins kalte Wasser wagen – trotzdem wir nicht wissen, was alles auf uns zukommen wird.
#Die Realität ist so viel vielschichtiger als jede Planung
Uns als Individuen im FAZ-Kontext verbinden Ansprüche an feministische und antiautoritäre Praxis, an nicht nur aktionsbezogenen Austausch (u.A. Raum für Unsicherheiten, Ängste und Utopien schaffen), der Wunsch nach sowohl langfristiger Planung, als auch ausgiebiger Reflektion, sowie der klare Anspruch an einen kritischen Blick auf interne Hierarchien und eine darauffolgende ernsthafte individuelle, wie kollektive Auseinandersetzung damit, wie diese abgebaut werden können. All dem kommt immer und immer wieder die kalte, zischende Realität dazwischen, sodass in der Praxis all die Wünsche und Ansprüche nette Ideen zu bleiben scheinen und trotz Versuchen und unseres besseren Wissens doch zu kurz kommen.
Schon bei der Entstehung dieses Textes geht die Schere auseinander. Nachdem aus Tagen des Sich-Vornehmens ein realer und spannender Austausch wurde, nahm uns kurz darauf die Flut des Alltags wieder in ihren Bann und so wurde dieser Text mehr und mehr zu einem „muss noch geschrieben werden“, statt einem „yeah lass mal fertigschreiben“. Was ist diese Realität, die wir da in gefühlter Dauerschleife erleben? Was lässt uns in der Praxis unsere Prioritäten anders setzen, als wir es vorhatten?#Der Realität konstant hinterher rennen
Für unser Projekt gibt es dauerhaft richtig viel zu tun und all diese Aufgaben – von Kochen bis sich ums Material kümmern – dauern oft länger als geplant. Das passiert meist unfreiwillig, z.B. wenn der Einklau-Baumarkt plötzlich die Überwachung ausbaut oder wenn die Kartoffeln fürs gemeinsame Abendessen einfach nicht durch werden wollen. Aber es geht einher mit einem enormen Zeitdruck bezogen auf die knappe Zeit, die wir uns zusammen nehmen und geben für Aktionen, Austausch und alles drum rum.
Aber auch bezogen auf Druck in einem kapitalistischen Sinne, wo es scheinbar nur darum geht, schnell die nächste krasse, noch krassere Aktion zu liefern und nebenbei noch in zehn anderen Gruppen die Struktur mitzuhalten. Unsere Sozialisierungen und damiteinhergehende internalisierte Denkmuster führen zu Verhalten und (un)bewusst getroffenen Entscheidungen, die den destruktiven Status Quo beibehalten, statt offensiv eine Aktion zu streichen oder die Zeit zu finden, einfach mal der Person in der Küche den passenden Topfdeckel für diese scheiß Kartoffeln zu geben.#Wohlfühlen vs. Aktion?
Um zusammen in Aktion gehen zu können, braucht es Vertrauen ineinander. Es braucht Raum für Gefühle und Ängste, um langfristig als Gruppe handlungsfähig zu bleiben. Und wir haben uns zusammengefunden, um uns diesen Raum zu nehmen und nicht nur harte Aktivisti zu spielen. Und ja, wir sind da dran, hören einander zu in unseren Bedürfnissen und Sorgen. Aber unsere Muster zeigen immer wieder in eine andere Richtung. So wird im Zeitdruck „die Aktion“ noch schnell zu Ende geplant, damit es nachts dann wie geplant losgehen kann. Und die Unstimmigkeiten zwischen uns als Menschen werden ignoriert. Am nächsten Tag sitzen wir dann in unserer Emo-Runde da und kotzen uns über diese Dynamik aus. Es wirkt so bescheuert, sich das immer wieder vor Augen zu führen, wenn wir dann doch immer wieder am selben Punkt enden.#Selbstkritik bis in alle Ewigkeit
Ja, die Ansprüche, die wir an unser Miteinander, ans gemeinsam Aktionen machen haben, sind krass hoch in einer Welt, die von kapitalistischem Leistungsdruck und Effizienzdenken durchzogen ist und wo so viel so unglaublich schief läuft. Trotzdem können Ansprüche, Wünsche und Utopien an unsere gemeinsame Praxis doch nicht nur abgespeicherte Entwürfe bleiben. Trotzdem wollen wir durch die schwierigen Dynamiken durchwachsen und sie brechen – nicht nur hochtrabend von ihnen sprechen, sondern sie ehrlich angehen.
Diese Liste vor uns mit all den Kritikpunkten, die wir an uns als Gruppe und Individuen haben, ist noch lang. Und all das könnte jetzt in ein ewiges Lamentieren übergehen, aber hey, irgendwie sind wir ja noch dabei und die Lacher schreiben wir zwar nicht mit, aber die sind schließlich auch in Fülle da.#Weiter balancieren
Statt uns selber fertig zu machen für unsere Unperfektheiten, statt uns einer kapitalistischen Wachstumslogik – gegen die wir doch eigentlich kämpfen – folgend weiter zwanghaft zu optimieren, könnten wir einfach mal durchatmen. Könnten unseren jetztigen Stand als das sehen, was es ist. Ein Ist-Zustand und weder perfekt noch statisch. Aber das muss er auch nicht sein, es bleibt ein Prozess, in dem wir lernen, Fehler machen und uns weiterentwickeln. Wir sind gerade in der Anfangszeit und da ist natürlich alles noch nicht so krass am Laufen. Klar, die Angst, dass sich die ungleichen Verantwortlichkeiten und sonstigen kritischen Gruppendynamiken so einspielen und sich verfestigen, ist da. Aber nein, alles nur entspannt nehmen wird uns auch nicht dorthin bringen, wo wir mit unserer Praxis und Aktionen hinwollen. Eine tragbare Balance zu finden, überhaupt sowas wie eine Balance zu finden, erscheint immer wieder unmöglich – okay, lasst es uns eine Herausforderung nennen. Und so bleiben viele offene Fragen und Fetzen, und so werden wir weitergehen. Aber jetzt ist erstmal Zeit fürs Abendessen. Und wir bleiben kritisch und versuchen, gut zu und mit uns selber zu sein und weiter zu balancieren mit Feuer in Händen und Herzen.Gruß und Kuss,
eine Feministische Autonome Zelle
Quelle: Indymedia (Tor)