Wer in Leipzig wohnt und eventuell zu Silvester auch am Kreuz war, dem können eigentlich nur die Ohren schlackern (sofern sie unverletzt sind) und die Augen brennen, bei dem, was sich im Nachgang der Silvesternacht in den Medien ereignet hat. So verzerrt, so unnötig aufgebauscht wird das, was dort passiert ist, dass sich die Frage aufdrängt, wieso das eigentlich so passiert. Um es kurz klarzustellen: Wir begrüßen das Vorgehen der Menschen am Kreuz und wollen es nicht herunterspielen oder kleinreden; aber es war, bei allem Gelingen, auch nicht dieses krasse „mehr als bisher“, welches Bullen, Politik und Medien nun daraus gemacht haben. Es war mehr als in anderen Jahren am Kreuz passierte und ein bisschen weniger, als zu anderen Gelegenheiten in Leipzig möglich war.
Warum aber nun dieses Riesentheater? Ist es wirklich, weil dort Genoss*innen versuchten, einen Bullen zu ermorden? Weil die angegriffenen Bullen so schwer verletzt wurden, wie noch nie? Weil der Angriff über jedes vorhersehbare Maß hinausging? So zumindest soll es den Menschen glauben gemacht werden und dies richtet sich nicht auf eine irgendwie angepeilte Strafverfolgung oder ähnliches, sondern dass richtet sich vor allem darauf, das Entstehen einer linksradikalen Bewegung zu verhindern und deren Akteur*innen frühzeitig auseinanderzujagen und zu spalten.Kurzer Rückblick
Um dies zu verstehen, schauen wir kurz in eine ganz andere Richtung und zwar nach Köln, genauer gesagt schauen wir auf den 26.10.2014. An diesem Tag trat auf den Plan, was sich so lange nicht mehr gezeigt hatte: Massenmilitanz von Rechts, ohne jede linke Gegenwehr, die „Hooligans gegen Salafismus“, HOGESA. Einige tausend Hooligans und Nazis demonstrierten unter dem gemeinsamen Motto „gegen Salafismus“ und im weiteren Sinne gegen die „fortschreitende Islamisierung des Abendlandes“. Auch wenn HOGESA in der Folge keine wirklich nennenswerten Erfolge verzeichnen konnte und als Struktur nach und nach zusammenfiel, war doch eine Sache deutlich geworden: Es gab eine relevante Anzahl gewaltbereiter Leute, die bereit waren, sich zum Thema „Islamisierung“ mit der Staatsmacht anzulegen und sich gegen diese für die Interessen eines irgendwie bedrohten und imaginierten deutschen Volkes einzusetzen.
Es wäre übertrieben, diesen Tag als Startschuss für eine neue rechte Massenbewegung zu sehen, Ansätze dafür hatte es ja bereits vorher genug gegeben. Neu hier war eher, dass es nicht gegen „Ausländer“ im allgemeinen ging, sondern gegen „Islamisten“, also jenen „Ausländern“, die Angst und Schrecken verbreiteten und qua erklärter Absicht keine „Integration“ anstrebten, sondern eine Umgestaltung der westlichen Welt hin zu einem islamischen Staat. Und das machte schon damals einigen „aufrechten Deutschen“ Angst, wie wir spätestens heute wissen. Verschlüsselt liegen darin häufig ganz allgemeiner Rassismus, Xenophobie und Antisemitismus. Diese Haltungen waren jedoch in der breiten Bevölkerung zu etwas Unaussprechlichem geworden, sie hatten ihre letzte öffentliche Heimat bei Neonazis und vielleicht in einigen Dörfern in Bayern und Ostdeutschland (sofern hier von Öffentlichkeit gesprochen werden kann), wie ja die Mobilisierung in Schneeberg im Herbst 2013 gezeigt hatte.
Versuche der Neuen Rechten, unter dem Deckmantel des Antiislamismus rassistische Mobilisierungen durchzuführen, waren vorher gescheitert. Ihre bisherigen Versuche wirkten wohl wenig attraktiv auf etwaige Mitstreiter*innen, zu wenige kamen zusammen, zu sehr wurden sie von antifaschistischen Gegenmobilisierungen umstellt, aber auch der Umstand, dass es zT zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Salafisten kam, die auch schon mal ein Messer zückten, mag abschreckend gewirkt haben. HOGESA nun verlieh den Leuten, die inhaltlich schon mobilisiert waren, sich aber nicht auf die Straße trauten, die nötige Sicherheit, dass ihre Position sagbar war und dass es tatkräftige deutsche Männer gab, die bereit waren, sie zu beschützen, sei es vor Islamisten, Antifas oder einfach bloß gesellschaftlicher Ächtung.
So kam denn unter dem Einfluss von HOGESA eine andere Bewegung aus dem Schmutz, PEGIDA. Bei PEGIDA mischte mit Siegfried Däbritz nicht nur ein Teilnehmer der HOGESA-Demonstration in Köln mit, vielmehr wurde sich von Anfang an positiv auf Hooligans bezogen, die auch von Anfang an als Ordner und zugleich Beschützer der Demonstration auftraten. Wie sich PEGIDA weiterentwickelte ist hinlänglich bekannt, ebenso wie die gesellschaftlichen Auswirkungen. PEGIGA darf mit Recht als Vorbereiterin der Wahlerfolge der AFD angesehen werden. Tiefer wollen wir aber nicht einsteigen; wichtig war nur festzuhalten, dass sich im Schutz der Verbindung neurechter Kräfte mit militanten Hooligans und Neonazis immer mehr Menschen trauten etwas zu sagen, was ihnen vorher als im öffentlichen Raum tabuisiert vorkam. Der Erfolg von (wenn auch nur vordergründig) „friedlichen“ Teilen der Neuen Rechten kam also nicht gegen sondern gerade durch das Zusammengehen mit den militanten Rechten zustande. Dabei ging es nicht um eine vordergründige Toleranz gegenüber gewalttätig agierenden Kameraden im Geiste, sondern einen explizit positiven Bezug. In der Folge war (und ist es bis heute) zu beobachten, dass das Zusammengehen mit der militanten Rechten zur Folge hatte, dass auch weitere Teile der bis dahin nicht militanten Rechten sich begannen, an handgreiflichen Auseinandersetzungen zu beteiligen.Rechte Hetze zu Silvester am Connewitzer Kreuz
Die aktuelle Regierung hat ihre liebe Not mit der Neuen Rechten. Nicht, weil ihnen die inhaltlichen Positionen Probleme bereiten, sondern weil die Neue Rechte sie unisono ablehnt, sogar weitergehend den Staat, so wie er aktuell verfasst ist, ablehnt, und weil dies so weit geht, dass Repräsentant*innen der Regierung als dessen Teilhaber*innen angefeindet, bedroht, verletzt und sogar ermordet werden. Ein weiteres Problem ist, dass diejenigen, die sie da anfeinden, gar nicht mit sich reden lassen. Sie sind nicht zugänglich für das gewöhnliche politische Geschwafel aus Drohung, leeren Versprechungen und kleinen Geschenken und Zugeständnissen. Drohung und leere Versprechungen werden zurückgewiesen, kleine Geschenke und Zugeständnisse wecken die Begehrlichkeit nach größeren Geschenken und Zugeständnissen. Und so kann die Neue Rechte die Regierenden, aber auch sonstige Vertreter*innen aus Politik und auch den Medien lustig vor sich hertreiben und für eine allgemeine Verunsicherung sorgen.
Die Kontakte der Leipziger Polizei zur Neuen Rechten und zu Neonazis sind bekannt. Der Wunsch nach einer autoritären Umgestaltung des Staates und eine stärkere Kontrolle der Gesellschaft dürfte bei noch mehr Bullen eine Rolle spielen, auch da wo sie sich selbst gar nicht als rechts bezeichnen würden. Darüber hinaus scheint aber auch ein instrumentelles Verhältnis der Bullenführung in Leipzig zum rechten Trollmob zu bestehen. „Informationen“ zu den Geschehnissen am Kreuz wurden gezielt in die „Sozialen“ Medien gestreut, die Situation so beschrieben, als hätte nur der Zufall den Tod eines Bullen verhindert, als sei ein Schwerverletzter im Krankenhaus notoperiert worden, usw. Dies alles deckt sich mit der Behauptung der Neuen Rechten über die linke und vor allem die autonome Bewegung, die auch im Staat schon lange ein Zuhause gefunden hat: Dass es sich bei den Autonomen um inhaltsleere Gewaltfanatiker*innen handelt, oder schlimmer noch, um Stripppenzieher*innen für die Errichtung eines autoritären Staates vergleichbar mit der Sowjetunion, kurz um Menschenfeinde (ein Stereotyp, das auch der Leipziger Bullenpräsi Thomas Schultz im Interview nach Silvester bediente) oder in der Sprache der Neuen Rechten: Um die neuen Faschist*innen.
Mit dem Streuen der verzerrten Darstellung der Bullen wurde also genau dieser rechte Trollmob auf den Plan gerufen und das nicht ohne Erfolg: Die spätestens durch die Massenwirkung der „Sozialen“ Medien völlig hilflos gewordenen Medien verbreiteten die Hetze als Tatsache. Linke, die sich zuvor kritisch geäußert hatten, verstummten, oder distanzierten sich gleich von ihren eigenen Aussagen. In einer Melange aus rechten Internettrolls, sensationsgeilen Presseorganen und herrschender Politiker*innen ergab sich ein Bild des Schreckens, welches die Geschehnisse am Kreuz völlig verzerrt wiedergab.Das Ziel hinter der Hetze
Viel schlimmer aber als das Geschilderte ist etwas anderes. Dieses lässt sich durchschauen, wie es ja dann auch die Recherchen vom Kreuzer (für alle Auswärtigen: eine Leipziger Stadtzeitung) und von der taz ergaben. Schlimmer ist: Es geht bei der verzerrten Darstellung der Ereignisse am Kreuz nicht wirklich um die Ereignisse am Kreuz, sondern es geht darum, die militante autonome und anarchistische Bewegung zu diskreditieren und gesellschaftlich zu isolieren. Dass Ziel ist nicht, dass die Leute am Ende der Darstellung der Polizei glauben, hinsichtlich der Frage, was am Kreuz nun wirklich passiert ist. Es geht darum, dass die Akteur*innen, ob sie es nun getan haben oder nicht getan haben, Menschenfeinde sind. Dass es sich bei denen, die Steine warfen und Raketen auf die Bullen schossen, um eine Gefahr für die Gesellschaft handelt. Dass diese handeln ohne Sinn und Verstand, dass ihre Ziele niederträchtig und menschenverachtend sind, dass ihr Handeln geboren wird aus Hass und der Freude an wahlloser Gewalt und dergleichen. Am Ende muss jemand, egal ob aus den Medien, den Repressionsbehörden oder der Politik sagen können: Diese Menschen sind uns ungleich und fremd, sie gehören zum Schutz der Allgemeinheit eingesperrt oder Schlimmeres; ihnen Gewalt anzutun ist kein Verbrechen, ebenso denen, deren Freund*innen sie sind. Diese Menschen sind nichts als eine Bedrohung, sie zerstören den Frieden, sie machen aus der guten Gesellschaft eine schlechte Gesellschaft, sie treten die Ziele der gemäßigten Linken mit Füßen und ziehen sie in den Dreck, sie wenden sich gegen Unschuldige und tun diesen Gewalt an, zerstören ihr Eigentum, sie kennen keine Grenzen mehr und keine Verhältnismäßigkeit. Und das war, wie fast immer, wenn die Bullerei eine solche Absicht verfolgt und dabei von Medien und Politik unterstützt wird, oder diese die gleiche Absicht verfolgen, ein Erfolg. Dieses ist ihnen gelungen, denn wenn sich auch nicht alle einig sind, was am Kreuz passierte, so sind sich doch alle einig, von rechts bis links, dass es ein schweres Vergehen war, dass überhaupt jemand kam und die Bullerei mit Steinen bewarf. Und dass das so bleibt, dass ist das wahre Ziel hinter all dieser Hetze.Warum ist das das Ziel?
Nun stellt sich ja die nächste Frage, wieso denn dieses Ziel den Bullen so wichtig ist und die ist ja ganz allgemein einfach zu beantworten. Sie wollen nicht, dass jene, die sie mit Steinen bewerfen, akzeptiert sind. Das ist doch offensichtlich. Aber die Sache geht doch noch etwas weiter. Wie schon in der Einleitung beschrieben, ist das Handeln der Polizei Ausdruck des alten Prinzips „divide et impera“, teile und herrsche. Und das wiederum ist mehr als nur ein altes Sprüchlein aus dem Glückskeks, es ist die seit langem bekannte Formeln, dass sich Menschen leichter beherrschen lassen, wenn sie in Gruppen aufgeteilt werden, die unterschiedliche Interessen verfolgen, oder viel deutlicher gesagt, die scheinbar unterschiedliche Interessen verfolgen. Und so ist es die Absicht hinter all dem, dass die Menschen, die am Kreuz waren, weiterhin die Menschen, die in Connewitz wohnen, oder noch weiter eine irgendwie geartete linke Bewegung, zerfällt in Gruppierungen mit Einzelinteressen, von denen sie glauben, dass sie unterschiedlich sind. Und das geht ja weit über die Situation am Connewitzer Kreuz hinaus. In Leipzig ist es ein Dauerthema: Wer die Bagger abbrannte oder die Prokuristin schlug, der verriet die Interessen aller, die gegen Gentrifizierung kämpfen, usw. Dabei geht es nicht darum, sich bloß von der Tat, sondern vor allem von den Täter*innen zu distanzieren. Diejenigen, die das Bürger*innenfest machen und diejenigen, die einen Bagger anzünden, sollen denken, dass sie keine gemeinsamen Interessen haben, oder dass sich ihre Interessen entgegenstehen. Und der wichtige Punkt eben ist: Wenn sie das denken, dann kommt das nicht von der Sache her (also davon, dass ihre Interessen tatsächlich unterschiedlich sind), sondern daher, dass der Staat oder welcher Feind auch immer, darin erfolgreich war, die Menschen mit einem übereinstimmenden Ziel auseinanderzuteilen und gegenüberzustellen. Wenn also nach den Auseinandersetzungen am Kreuz die Menschen sagen: „Also wie die Polizei es sagte, so war es wohl nicht, vieles war gelogen, aber sie anzugreifen, das geht gar nicht, das ist menschenverachtend“, dann ist das Hauptziel der Bullenpropaganda erreicht.
Was passiert, wenn dieses „divide et impera“ nicht gelingt, das können wir sehen an der obigen Schilderung von HOGESA und Co, wir können es aber auch historisch am Wendland sehen oder an der Startbahn-West und dergleichen mehr. Das Wendland und die Startbahn-West taugen aber als Beispiele nicht so gut, wie es HOGESA tut, weil beide Kämpfe regional stark begrenzt waren und themenspezifisch eingeengt. Solidarität untereinander gab es zwischen bürgerlichen und autonomen Kräften nur hinsichtlich Ort, Zeit und Thema, darüber hinaus kamen keine anhaltenden und nennenswerten Solidarisierungseffekte zustande.
Nun haben sich die Autonomen (im Gegensatz zu ihren Ekelkindern, den Postautonomen) in den letzten Jahren weg von den Teilbereichskämpfen hingewandt zu Kämpfen gegen die Staatsmacht im Allgemeinen und in dieser Hinsicht ist von Leipzig wohl auch ein gewisser Esprit ausgegangen in den vergangenen Jahren. Der Angriff auf Polizeistationen, auf Gerichte und Ämter, … jedenfalls ist keine Besonderheit mehr und richtet sich gegen den Staat als Akteur. In diesem Kontext steht ja auch die Angriffe am Kreuz, auch wenn die faktischen Schikanen der Bullen über die letzte Zeit hinweg dem Ganzen eine gewisse zusätzliche Würze gegeben haben dürften. Es ist für die Anhänger*innen des gegenwärtigen Staates eine ziemliche Schreckensvorstellung, dass so etwas in Teilen der Gesellschaft begrüßt wird. Dies, um es einmal etwas bedeutungsschwer auszudrücken, wäre ja die Grundbedingung für irgendeine Form der Guerilla. Und da macht der Staat in seinem Sinne alles richtig, wenn er es schafft, die Autonomen zu isolieren und denjenigen, die von einer besseren Gesellschaft träumen, einzubläuen: „Du kannst zwar von einer besseren Gesellschaft träumen, aber gegen diesen Staat darfst du nichts unternehmen.“ Und so sind ja die meisten Leute, die von einer besseren Gesellschaft träumen, schon in genau diese Lage geraten, dass sie sich im erlaubten Maße für ihre Sache einsetzen, aber gegen den Staat, den sie hassen, nichts Grundsätzliches unternehmen können, oder anders gesagt, grundsätzlich nichts unternehmen können. Und damit dies möglichst für immer so bleibt, muss eben der Keil zwischen die Autonomen und die Gesellschaft getrieben werden und immer und vor allem da, wo es Anzeichen davon gibt, dass diese Trennung, aufgrund derer alle beherrschbar bleiben, beginnt sich aufzulösen, weil die Menschen, die da geteilt wurden, beginnen, sich zu erkennen und eben zu sehen, dass ihre Interessen gar nicht verschieden sind, sondern gleich oder zumindest sehr ähnlich, ähnlicher jedenfalls als das Interesse, es so zu machen, wie der Staat es verlangt. Und weil das in Connewitz so ist, also dass sich genau so etwas schon lange entwickelt, wird Connewitz bei allen Freund*innen der falschen Ordnung so gehasst. Und genau deswegen bekommt die Bullerei gleich Unterstützung aus der Politik selbst auf Bundesebene, um einen kleinen Krawall wieder einmal zum Bürgerkrieg hochzupushen. Dass es den Bullen und den Politiker*innen um etwas geht, sehen wir auch daran, dass sie sich richtig ins Zeug legen, um den Keil zwischen die Leute zu treiben. Sie sagen: Diese Leute, das sind Mörder. Und schlimmer geht es ja kaum. Es wäre noch drastischer, wenn es Vergewaltiger oder Massenmörder wären, aber das ist in Anbetracht der Situation einfach absurd. Und da ist mit Mörder schon die höchste Karte ausgespielt, ohne das ein einziger Bulle tatsächlich auch nur in die Nähe von Lebensgefahr gekommen ist und ernste Gefahr für Leib und Leben nachweislich häufiger von der Bullerei ausgeht als von irgendwelchen Autonomen.Was ist zu tun?
Die letzte Frage, mit der wir uns in diesem Zusammenhang beschäftigen wollen, ist die Frage: Was ist zu tun, angesichts des Geschilderten, zumindest wenn jemand etwas von dem bisher Geschriebenen teilt. Aber wir denken: Es gibt in dieser Hinsicht überhaupt nichts zu tun. Die Bullerei, die Medien und die Politik werden das jedesmal aufs Neue versuchen. Sie werden uns jedesmal aufs Neue als die ganz Schlimmen und Bösen und Dummen hinstellen. Und eine ganze Reihe von Leuten wird weiterhin sagen: Mit diesen Schmuddelkindern wollen wir nichts zu tun haben. Hiergegen können wir nichts machen, denn der Erfolg der Hetze gegen uns, der liegt ja nicht daran, dass die Hetze gut gemacht ist, er liegt daran, dass die Hetze auf Menschen trifft, die verunsichert und eingeschüchtert sind und insgesamt etwas die Übersicht verloren haben, gleichzeitig aber glauben, dass sie eine sehr gute Übersicht hätten und dass sie genau wissen, was wie zu machen ist und dergleichen. Auf uns Schmuddelkinder hören sie sowieso nicht, über uns ärgern sie sich nur. Aber gleichzeitig gibt es auch immer mehr Leute, die erkennen, dass es eigentlich nicht so schlecht ist, mit den Schmuddelkindern zu verkehren und die verstehen, dass es gut ist, ein paar Schmuddelkinder zu kennen und hin und wieder etwas Zeit mit ihnen zu verbringen, weil sie erkannt haben, dass die Schmuddelkinder gar nicht so schlimm sind, wie ihnen vorher gesagt wurde.
Davon aber können wir sie nicht überzeugen, davon müssen sie sich schon selbst überzeugen. Was wir tun können, ist ihnen möglichst regelmäßig Gelegenheit dazu zu geben.
Quelle: Indymedia (Tor)
Was an Silvester am Connewitzer Kreuz geschah, lässt sich nur im Kontext der letzten Monate angemessen verstehen. Das Jahr 2019 war nicht nur in Connewitz, sondern in ganz Leipzig von zunehmender Aggressivität und zahlreichen Erniedrigungen, Körperverletzungen, Beleidigungen und gewalttätigen Übergriffen seitens der Bullen geprägt. Nachdem es bereits im Jahr 2018 zu einem gewalttätigen Übergriff auf linke Jugendliche im Connewitzer Polizeiposten kam ¹, wurden das Jahr 2019 über zahlreiche Demonstrationen von den Schweinen angegriffen, Menschen wurden zusammengeschlagen, bedroht, verletzt. In Connewitz erdreisteten sie sich für ein paar Wochen sogar, die Bewohner*innen mit martialischen Fußpatrouillen kleiner BFE-Trupps zu belästigen, die auch Anwohner*innen massiv schikanierten und bedrängten. Nach einigen Angriffen auf die Bullen in Connewitz ², schien die Polizeiführung verstanden zu haben, dass die Einführung dieser Fußpatrouillen in der Connewitzer Nachbar*innenschaft auf generelle Ablehnung traf.
Dennoch gingen die staatlichen Angriffe auf das Viertel weiter und äußerten sich in dauerhaft hoher Streifenpräsenz und lächerlichen Pressemitteilungen, in denen sich darüber beklagt wurde, dass Bullen im Viertel unerwünscht sind. Dabei wurde absurderweise immer wieder das Linxxnet in den medialen Fokus gerückt ³ ; das zwar eine linke Einrichtung ist, in der Menschen teilweise für eine bessere Gesellschaft streiten, das jedoch als Institution staatstragend und nicht polizeifeindlich ausgerichtet ist. Dies zeigt wie undifferenziert von polizeilicher Seite gegen alles vorgegangen wird, was nicht in die eigene Vorstellung von Sicherheit und Ordnung passt.
Dabei war auffallend, wie sehr die Leipziger Polizei Pressemitteilungen mittlerweile dazu nutzt, um politische Akzente zu setzen und den öffentlichen Diskurs in ihrem Sinne und entgegen linker Politik zu beeinflussen. Die Bullen treten also zunehmend als eigenständiger politischer Akteur in Erscheinung. Dies ist nicht nur als ein Leipziger Phänomen zu betrachten, zieht sich hier aber auffallend durch die gesamte bisherige Amtszeit des neuen Leipziger Bullenchefs Torsten Schultze. Dieser fällt durch andauerndes Rumjammern über den Unmut, der ihm und seinen Kollegen aufgrund deren Berufswahl aus der Bevölkerung entgegen schlägt, auf.
Als im Oktober Polizeikräfte ins Viertel einfielen, um Leute vom geselligen Beisammensein an der Straße abzuhalten und durch massive Präsenz Stärke demonstrieren wollten, war die Empörung groß. Die Leute waren entschlossen, dies nicht hinzunehmen und den Schweinen durch einige Wurfgeschosse klar zumachen, dass sie im Viertel noch immer unerwünscht sind.
Nach einigen Selbstverteidigungsaktionen, die sich gegen Akteure und Profiteure der Aufwertung und kapitalistischen Umgestaltung des Viertels richteten, wurde ins große Horn der Repression geblasen. Zum unzähligen Mal war auf staatlicher Seite von einer neuen Qualität der Gewalt die Rede, wurde irgendetwas von neuen RAF-Gruppen gefaselt, zum unzähligen Mal wurde irgendeine neue Ermittlungsgruppe (Soko LinX) gegründet und vom „Aufräumen in Connewitz“ geredet – man wolle jetzt auch gegen Müll und Graffiti stärker vorgehen.⁴ Der Hort des Linksextremismus solle endlich stillgelegt werden.
Das Viertel antwortete am 13.12. mit einer kraftvollen Demonstration gegen Bullen, Faschismus und Gentrifizierung. Diese blieb weitgehend friedlich, jedoch brachte das zahlenmäßig starke und außerdem geschlossene und wütende Auftreten den angestauten Unmut über die permanenten Schikanen und Übergriffe der Bullen zum Ausdruck. Was dabei auffiel, war wie zurückhaltend die Schweine agierten. Zwar waren sie präsent und sichtbar, was erfreulicherweise auch einige Menschen dazu veranlasste, sie anzugreifen. Jedoch schienen sie aus den Erfahrungen vergangener Demonstrationen gelernt zu haben. Die Demonstration wurde weitgehend in Ruhe gelassen und es wurden keine Festnahmen zugelassen. Es ist wichtig, dass die Bullen begreifen, dass sie nicht einfach Leute festnehmen, oder wegen jeder Kleinigkeit die Demonstration unterbrechen können. Deshalb müssen wir Angriffe der Bullen auch weiterhin konsequent beantworten, solidarisch miteinander bleiben und Gefangene möglichst befreien.
Der 31. Dezember war in Leipzig-Connewitz ein Tag der Bullenbesatzung und Schikanen. Bereits im Vorfeld wurde der Ausnahmezustand beschworen und Anwohner*innen durch polizeiliche Aushänge darum gebeten, ihr Eigentum vor eventuellen Beschädigungen zu schützen. Die Tage vor dem Jahreswechsel waren von massiver Bullenpräsenz geprägt. Im Minutentakt fuhren mit behelmten Schweinen besetzte Wannen die Straßen auf und ab. Es war klar, dass hier ein staatlicher Angriff auf das Viertel vorbereitet wurde bzw. schon in vollem Gange war. Am letzten Tag des Jahres dann wurde den Bewohner*innen bereits ab den Mittagsstunden durch Helikopterlärm signalisiert, dass sie sich auf einen Abend der staatlichen Machtdemonstration und Bullenschikanen einstellen können.
Gegen Mitternacht fanden sich dennoch über 1000 Leute am Connewitzer Kreuz ein, um gemeinsam Silvester zu feiern. Viele von ihnen hatten in den vergangenen Tagen und Wochen bereits unerfreulichen Kontakt mit der Staatsmacht, z.B. in Form von „verdachtsunabhängigen Kontrollen“, die selbst bis kurz vor Mitternacht im Umfeld des Connewitzer Kreuzes fortgeführt wurden. Überall in Connewitz waren martialisch und aggressiv auftretende Bullengruppen unterwegs, die durch ihr Auftreten deutlich machten, dass sie an diesem Abend motiviert waren, möglichst viele Leute zu verletzen oder festzunehmen. Den ganzen Abend über kam es zu Schikanen und teilweise grundlosen Angriffen der Bullen auf Anwohner*innen und Feiernde. Laut Twitter wurden Leute schikaniert, weil sie ein Transparent mitführten.
Gegen 00:15 schließlich eskalierte die Situation. Nachdem die Cops auf vorhergehende Aufforderungen, das Viertel zu verlassen und die Menschen in Ruhe Silvester feiern zu lassen, nicht reagiert hatten, wurden sie mit verschiedensten Wurfgeschossen angegriffen. Anstatt sich zurückzuziehen und die Ansage ernstzunehmen, reagierten sie jedoch mit massiven und willkürlichen Angriffen auf Umstehende. Leute wurden brutal zusammengeschlagen, aus der Menge gezerrt, beleidigt und erniedrigt. Erwähnenswert ist, dass die Schweine völlig willkürlich Menschen angriffen, egal ob diese sich vorher an Angriffen beteiligt hatten oder nicht. Etwas zu sagen, was den Bullen nicht passte, oder im Weg herum zu stehen genügte bereits, um heftig angegangen oder verprügelt zu werden. Zahlreiche Berichte dazu von Augenzeug*innen sind auf Twitter zu finden.
Angesichts der zunehmenden Polizeigewalt wäre es dennoch falsch, sich als Opfer darzustellen. Man sollte sich nicht darüber beklagen, wenn Leute von Bullen bedrängt, geschlagen, beleidigt werden. Denn wir wissen, dass die Polizei immer auf der Seite der Reichen und Mächtigen, und auch auf der Seite des Faschismus stehen wird. Dies zeigt sich mal mehr, mal weniger deutlich.⁵ Alle Menschen, die für eine bessere Welt, frei von Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen, befinden sich logischerweise im Konflikt mit der Staatsgewalt und ihren Handlangern. Und müssen deswegen mit Angriffen der Bullen rechnen. Wir haben keine Erwartungen und keine Forderungen an diese Schweine! Wir lehnen den Dialog mit ihnen ab, solange sie ihre Uniformen tragen und ein System der Ungerechtigkeit mit Brutalität verteidigen! Dennoch sollte die zunehmende Polizeigewalt thematisiert werden und wir müssen uns als Bewegung Gedanken darüber machen, wie wir dieser kollektiv und solidarisch begegnen können.
Was erfreulicherweise an Silvester ebenfalls zu beobachten war, dass viele Menschen solidarisch gegen die Brutalität und Aggressivität der Bullen reagiert haben. Festgenommene wurden teilweise wieder befreit, Bullen wurden in ihre Schranken gewiesen, als sie versuchten Leute aus der Menge zu zerren und zusammen zu schlagen, auch wenn das leider nicht immer gelungen ist. Zudem haben sich viele Menschen an den Angriffen auf die Schweine beteiligt. All das verdeutlicht die steigende Wut, die auf den ständigen Provokationen seitens der Staatsgewalt basiert.
Dass aus politischen Gründen nun irgendein Staatsanwalt dazu überredet wurde, von versuchtem Mord zu sprechen, weil irgendein Bulle seinen Helm verlor und dabei am Ohr verletzt wurde, macht sprachlos. Vor allem angesichts all der von Bullen verübten Morde und schweren Körperverletzungen in den letzten Jahren in Deutschland, die meist als Notwehr behandelt oder gänzlich unter den Tisch gekehrt werden. Das ist eine Verhöhnung der Betroffenen dieser Polizeigewalt und ihrer Angehörigen. Wir glauben zwar nicht an die bürgerliche Justiz, jedoch erschreckt uns die Eindeutigkeit, in der hier politische Interessen in polizeiliche Ermittlungen und juristische Einstufungen einfließen.⁶ Angesichts der Formulierungen in der polizeilichen Pressemitteilung, die noch in der Nacht, vor Redaktionsbeginn veröffentlicht wurde; fortgeführt durch das Mediengewitter, dass sich aufgrund der Zusammenstöße am Connewitzer Kreuz in den letzten zwei Tagen ereignete, wird klar wie vorbereitet der gesamte Polizeieinsatz samt politischer Hetze war. Diese Form der Hetze wird seitens der Medien fortgesetzt, bei denen es noch immer zum guten Ton gehört, Polizeimeldungen unkritisch zu übernehmen.
Die Leipziger Bullen wollten offensichtlich die Eskalation und haben sie bekommen. Genauso wie die Bilder und Schlagzeilen, die nun weitere Repression, Ermittlungen und Angriffe auf den Stadtteil rechtfertigen sollen. Dass im Zuge all dessen nun die Junge Union das Verbot der Linkspartei fordert⁷, sollte aus satirischen Gründen erwähnt werden.
Angesichts der zurückliegenden und zweifellos bevorstehenden Angriffe der Bullen auf unser Viertel und all das, wofür es steht, ist es wichtig, nun umso mehr zusammen zu rücken. Rhetorisch wird gerade offenbar ein polizeilicher Angriff vorbereitet, der – wie es die Bullen ausdrücken würden – eine neue Qualität der Gewalt mit sich bringen könnte. Auch die Repression, die sich schon jetzt abzeichnet, wird hart sein und sollte angemessen beantwortet werden. Wir müssen uns besser organisieren, stärkere solidarische Strukturen auch in der Nachbar*innenschaft aufbauen und dafür sorgen, dass niemand mit anstehender Repression alleine gelassen wird! Außerdem müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass Gerüchte und Gerede in erster Linie den Bullen und ihren Ermittlungen nutzen. Konstruktiven Auseinandersetzungen sind sie in der Regel abträglich. Deswegen gilt noch immer: Anna und Arthur halten’s Maul!
Zum Abschluss: Danke an alle, die sich am Silvesterabend am Connewitzer Kreuz solidarisch verhalten haben!
Solidarität mit allen Gefangenen!
Auf ein kämpferisches neues Jahrzehnt!
Und es bleibt dabei: Bullenschweine raus aus Connewitz!
NO COPS! NO NAZIS!
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¹ https://antirepression.noblogs.org/post/2018/05/27/bullen-misshandeln-und-quaelen-linke-in-leipzig/
² https://de.indymedia.org/node/33464
³ https://www.lvz.de/Leipzig/Polizeiticker/Polizeiticker-Leipzig/Bullenschweine-Flyer-Leipziger-Polizeichef-kritisiert-Abgeordnete
⁴ https://www.neues-deutschland.de/artikel/1128501.leipzig-connewitzer-graffiti-krieg.html
⁵ https://taz.de/Prozess-gegen-Hannibal-Schluesselfigur/!5646413&s=Gruppe+Nordkreuz/
⁶ https://www.focus.de/panorama/welt/mann-wurde-bewusstlos-beamter-in-leipzig-mit-feuerwerk-beschossen-polizist-bricht-zusammen-not-op_id_11508516.html
⁷ https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ausschreitungen-in-leipzig-connewitz-polizist-schwer-verletzt-a-1303327.html
Quelle: Indymedia (Tor)
Den Behördenangaben nach hatten am Connewitzer Kreuz rund 1.000 Menschen Silvester gefeiert. Kurz nach Mitternacht seien Polizisten aus einer größeren Gruppe heraus mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern attackiert worden. Zudem sei ein brennender Einkaufswagen in Richtung der Beamten geschoben worden. Als Beamte einen Täter festnehmen wollten, seien drei von ihnen aus einer Gruppe von 20 bis 30 teilweise vermummten Tätern angegriffen worden.
Die Angreifer rissen Polizeiangaben zufolge den Beamten die Helme vom Kopf und attackierten sie auf dem Boden liegend. Drei Polizisten seien dabei verletzt worden, ein 38-Jähriger so schwer, dass er laut Polizei notoperiert werden musste. Dieser Sachverhalt wurde durch die Staatsanwaltschaft Leipzig als versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung bewertet. Die Polizei sucht Zeugen, die Angaben zu Tatbeteiligten und den Geschehnissen machen können.
Der schwer verletzte Polizist befand sich am Donnerstag weiterhin im Krankenhaus. Er schwebe aber nicht in Lebensgefahr, hieß es von Polizei und Staatsanwaltschaft.
Verwirrung über Gesundheitszustand des PolizistenZuvor hatten Medienberichte unter Berufung auf Zeugen für Irritationen gesorgt. Danach soll der 38-Jährige beim Abtransport seinen Helm auf dem Kopf gehabt haben. Die Leipziger Polizei hatte noch am Silvestermorgen berichtet, dass der 38-Jährige notoperiert werden musste. Die „taz“ berichtete am Donnerstagabend unter Verweis auf Krankenhauskreise, dass man sich in der Uniklinik „verwundert über die Polizeimeldung über eine ‚Notoperation‘ geäußert“ habe. Es habe einen Eingriff an der Ohrmuschel des Beamten unter lokaler Betäubung gegeben. Lebensgefahr oder drohender Gehörverlust hätten nicht bestanden.
Quelle: MDR