Ein Polizeiwagen ist in Berlin-Friedrichshain mit Steinen beschädigt worden. Die Objektschutzmitarbeiter hatten am Freitagabend in der Rigaer Straße einen kurzen Stopp eingelegt, als plötzlich Steine gegen den Wagen flogen, wie eine Sprecherin mitteilte. Demnach wurde dabei die Frontscheibe beschädigt, der Rückspiegel sei abgefallen.
Woher die Steine geworfen wurden, war nach Polizeiangaben zunächst unklar. „Die Fallrichtung war eher von oben“, ein Täter war jedoch nicht zu sehen.
Einer der Polizeimitarbeiter habe über Augenschmerzen geklagt. Er wurde im Krankenhaus auf eventuelle Glassplitter untersucht. Der Staatsschutz übernahm die Ermittlungen.
Quelle: Tagesspiegel
(B) Nordkiez Update Anfang 2020
Der rebellischen Tradition des Nordkiezes gemäß haben sich einige aus den (Haus-) Projekten dazu entschlossen, mal wieder ein Info-Update mitsamt Einschätzungen zu liefern. In letzter Zeit waren Texte in diesem Format rar, was hiermit ein wenig korrigiert werden soll.
Wo stehen wir?
Die aktuelle Phase unseres Kampfes steht in der direkten Kontinuität zur Zeit des Gefahrengebiets und zur sie ablösenden Phase der relativen Rechtssicherheit. Die Zeit des Gefahrengebiets zeichnete sich dadurch aus, dass über den gesamten Kiez und seine Bewohner*innen der Ausnahmezustand verhängt worden war. Beginnend im Oktober 2015 hatte die Polizei unter dem Innensenator Henkel mehrere Monate lang den Kiez mit Kontrollen und Übergriffen terrorisiert, was zu massenhaften Solidarisierungen untereinander führte. Das Gefahrengebiet gipfelte in der versuchten Räumung der Rigaer94 und endete jäh mit dem ungeordneten Rückzug der Hundertschaften nach drei zermürbenden Wochen Belagerung. Unter anderem dem Widerstand im Kiez war es geschuldet, dass Henkel die anschließende Bürgermeisterwahl 2016 haushoch verlor und die Stelle des Innensenators durch den Sozialdemokraten Geisel eingenommen wurde. Eine der wichtigsten Aufgaben Geisels war von Anfang an der unruhige Nordkiez. Er musste öffentlich einen Bruch mit der frontalen Strategie seines Vorgängers ankündigen und gab in diesem Zug die Direktive des „rechtssicheren Handelns“ heraus. Die Gefahr einer Fokussierung der staatlichen Repression auf einzelne Akteur*innen und einer Abnahme der breiten Solidarität wurde von den rebellischen Strukturen analysiert und davor gewarnt.
Diese neue Phase kennzeichnete sich in der Tat durch ernsthafte Versuche, Einzelne aus der Bande der Solidarität herauszulösen und in den Knast zu stecken. Das beste Beispiel ist die Festnahme und Schmutzkampagne gegen einen Bewohner der Rigaer94, der durch ein Staatsschutzkonstrukt mit Hilfe einer eigens aufgebauten Zeug*innengruppe für einige Monate in U-Haft musste (1). Der Widerstand dagegen war gekennzeichnet durch arbeitsintensive Gegenpropaganda, teilweiße in harter Abgrenzung zu Teilen der Nachbarschaft, und zahlreiche Aktionen, die notwendig waren, um nicht in die Defensive zu geraten. Nach der Bewegungszeit des Gefahrengebiets trat dennoch eine Depression ein. Die meisten (Haus-) Projekte verschwanden wieder in der Bedeutungslosigkeit und auch die übrigen Anwohner*innen blieben meist den Konflikten fern, schlicht und einfach deswegen, weil sie die Möglichkeit dazu hatten. Das führte dazu, dass die Polizei das Gefahrengebiet auf einen Bruchteil der ursprünglichen Größe reduzieren konnte – auf den unruhigen Hotspot um die Liebig34 und die Rigaer94. Dennoch sind wir der Meinung, dass wir als rebellischer Kiez diese Zeit und die staatlichen Versuche der Isolierung gut gemeistert haben. Die Welle der Verfahren gegen einzelne Akteur*innen ist zwar nicht vorbei, doch konnte die Justiz den polizeilichen Plan der Abschreckung nicht vollenden. Im Gegenteil hat unsere kleine Bewegung dabei einiges an Erfahrung gesammelt und einiges an Angst abgeworfen.
Auch die provokative Frage, wem die Stadt gehört, wurde durch die politische Strategie der Regierenden nicht begraben. 2017 schrieben einige: „Die vielseitig genutze Brache „Bambiland“ musste hässlichen Luxusneubauten weichen und mit dieser gated-community werden wir nie Frieden schließen“. Im Gegensatz zu den meisten Frontprojekten der Gentrifizierung, die nach anfänglichen Problemen meist schnell in Ruhe gelassen werden, war und ist das Bambiland in der Rigaer Straße zwischen Zelle und Proskauer Straße ständig Ziel von politischem Graffiti oder Glasbruch. Eine regelmäßige Objektschutzstreife der Polizei konnte und kann das auch nicht verhindern. Auch der Bau der CG-Gruppe in der Rigaer Straße musste bis heute immer stark geschützt werden, was zeigt, dass die Reichen und Mächtigen Angst vor dem Zorn aus der Bevölkerung haben.
Der Dorfplatz an der Ecke Rigaer Straße/Liebigstraße war zu jeder Zeit ein Ort, dessen Nutzung nur mit Gewalt durch den Staat kontrolliert werden kann. Es hat sich gezeigt, dass es nach wie vor Bedarf an derartigen Räumen gibt. Mit den heranrollenden neuen Räumungsandrohungen gegen die Liebig34 und Projekte in anderen Gegenden der Stadt ging eine gesteigerte Aktivität von dort aus. Die Auseinandersetzungen mit der Polizei, die sich nach 2016 zeitweise auf den Bereich vor der Rigaer94 beschränkt hatten, schlossen vermehrt den Dorfplatz mit ein, nachdem im Sommer 2019 ein öffentliches Mahl gewaltsam mit der Begründung aufgelöst wurde, es sei nicht erlaubt, Bänke aufzustellen. In der Folge konnte die Polizeipräsenz am Platz durch sehr häufigen Bewurf, vor allem mit Farbe, stark reduziert werden.
Die Stärke der rebellischen Strukturen hat sich auch gegen die Justiz gezeigt. Die erste Verhandlung gegen die Liebig34 konnte im November 2019 durch entschlossene Interventionen verhindert werden. Für uns steht fest, dass das ohne den militanten Druck nicht möglich gewesen wäre und wir möglicherweise schon mit einem Haus weniger dastehen würden.
Im vierten Jahr der linken Regierung unter SPD, Linkspartei und Grüne, also kurz vorm letzten Jahr dieser Wahlperiode glauben wir aufgrund der oben beschriebenen Umstände behaupten zu können, dass deren gegen uns angeführte Strategie nicht funktioniert hat. Während wir das jedoch als Erfolg verbuchen, wollen wir sowohl nicht aus den Augen verlieren, was die mittelbareren Ziele staatlichen Handelns sind, als auch was die unsrigen sind. Als Garant für Sicherheit und Ordnung zur Durchsetzung beispielsweise der kapitalistischen Stadt hat der Staat weitergearbeitet und sich an vielen Stellen zusätzlichen Raum verschafft. Als rebellischer Kiez waren wir seit 2016 nur ein kleiner Faktor des Widerstands unter vielen anderen. Wir haben es bisher nicht geschafft, mit der siegreichen Schlacht um Henkels Vietnam mehr derartige Auseinandersetzungen in dieser Stadt zu initiieren, obwohl wir dies eigentlich anstrebten und anstreben.
Neue Phase
Warum wir jetzt eine neue Phase des Kampfes verkünden hat zwei Gründe. Einerseits glauben wir die Grundlagen zu einer Zuspitzung zu haben, die kommen muss, wenn wir uns ohne große Verluste wie die Räumung der Liebig34 über diese Periode der linken Regierung retten wollen. Andererseits hat unser Gefahrenkiez bei unseren Feinden einen derart herausragenden Stellenwert erreicht, dass wir es für nötig halten, einen Umgang damit zu finden.
Nach anfänglichem Zögern wurde die durch die herausgezögerte Entscheidung gewonnene Zeit bis zum Räumungsversuch gegen die Liebig34 unsererseits genutzt. Die letzten Monate geben uns Grund zur Annahme, dass die antagonistischen Elemente dieser Stadt und darüber hinaus bei einer Räumung zusammenstehen werden. Mehrere Demonstrationen (2) haben gezeigt, dass Mobilisierungen ohne Probleme vierstellige Teilnehmer*innenzahlen erreichen. Viele haben sich in letzter Zeit auch an illegalen Aktionen beteiligt und diese in den Kontext eines gemeinsamen Handelns gestellt. Wichtig ist bei all dem die „Interkiezionale“, der organisatorische Zusammenschluss der bedrohten Projekte Berlins. Außerdem gibt es mit der Kampagne „Kein Haus weniger“ eine Initiative aus dem bürgerlichen Spektrum, die sich mit einer Liste von zahlreichen stadtweit bedrohten Projektenden, darunter die Liebig34, demonstrativ solidarisiert.
Im Kiez selbst ist in den letzten Monaten auch einiges passiert, was unsere Strukturen wieder größer und komplexer macht. Von der Kiezkommune Friedrichshain werden regelmäßige Veranstaltungen organisiert, die sich an unorganisierte Nachbar*innen wenden, darunter eine regelmäßige Versammlung für die Nachbarschaft. Besonders bemerkbar macht sich die zunehmende Verbundenheit von jüngeren Strukturen mit dem Gefahrenkiez, welche u.a. im autonomen Jugendclub Keimzelle im besetzten Erdgeschoss der Rigaer94 fußt. Unter dem Label Kiezversammlung gab es außerdem ein Treffen von gut 50 Menschen, das sich mit der Frage beschäftigte, wie man die Liebig34 besser unterstützen kann. Auch hier kamen Viele, die nicht in den Hausprojekten wohnen. Aus diesem Treffen entstand auch der Plan, am 4. April 2020 wieder mal eine Kiezdemo durchzuführen, um die Nachbarschaft zu repolitisieren.
Wir sehen also, dass es eine Grundlage gibt, um über Ziele zu reden, und darüber, wie wir die nächste Zeit dafür nutzen wollen. Doch auch die Bedingungen im Lager unserer unmittelbarsten Gegner haben sich geändert.
Wie bereits klar geworden sein dürfte, messen wir der Beschäftigung mit dem demokratischen Zirkus einige Bedeutung bei. Die Ereignisse der erfolglosen Räumung der Rigaer94 2016 haben gezeigt, dass unser Kampf wichtig genug ist, um Parteipolitik zu beeinflussen. Gleichzeitig sind wir dadurch geeignet, um für parteipolitische Interessen instrumentalisiert zu werden. Da 2021 Wahljahr ist und bis Mitte 2020 eine Häuserräumung im Nordkiez mit der erneuten Vertagung der Verhandlung gegen die Liebig34 fast unmöglich ist, rennt der aktuellen Regierung die Zeit für einen unkomplizierten symbolischen Schlag davon. Darüber hinaus sind Spaltungstendenzen erkennbar. So muss sich der Innensenator Geisel mittlerweile über eine parteiinterne Opposition ärgern, die gemeinsam mit der CDU und der AfD versucht, sich durch eine Abweichung vom vorgegebenen Kurs des rechtssicheren Handelns zu profilieren. Die ausgebliebenen Erfolge der Regierung gegen den rebellischen Kiez haben also eine Situation mit Potential für einen regierungsinternen Machtkampf geschaffen, während der Druck von außen steigt.
Aus den Reihen der Polizei erfolgt eine kontinuierliche und vielfältige Zuarbeit an rechte Kräfte. Über die polizeieigene Pressearbeit, durch die Polizeigewerkschaften und über die rechten Medien wird ein Bild des totalen Versagens der linken Regierung gezeichnet. Öffentliche Forderungen wie das Abreißen oder Ausräuchern unserer Häuser folgen mittlerweile regelmäßig auf die polizeiliche Berichterstattung aus dem Gefahrengebiet. Einschlägiges Verhalten wie das leaken von geheimen Informationen, die Zusammenarbeit mit Nazis, die Normalisierung der Gegenwart faschistischer Strukturen in der Polizei – all das sind Zeichen einer Meuterei gegen den linken und bürgerlichen Liberalismus.
Das hat mit uns zu tun, weil wir zum Symbol des staatlichen Versagens geworden sind. Nicht nur durch unseren Antrieb sind wir heute über die Grenzen hinaus ständig im Gespräch der Medien. Das Schlagwort Rigaer wird von verschiedensten rechten Akteur*innen für eigene politische Zwecke genutzt. Die sozialen Netzwerke – ihre Relevanz sei dahingestellt – sind voll von Gewaltaufrufen und Anstachelungen. Alle paar Wochen erscheint in renommierten überregionalen oder gar internationalen Zeitungen ein Artikel, in dem ohne relevanten Nachrichtenwert über unseren Kiez hergezogen wird (3). Wir wollen in aller Klarheit sagen, dass die Medienhetze zwangsläufig dazu führen wird, dass es zu Angriffen kommen wird. Der Brandanschlag auf die Liebig34 vor einigen Jahren darf ebensowenig vergessen werden wie der Besuch des Nazi-Video-Bloggers vergangenes Jahr, der demonstrativ bewaffnet durch unsere Straßen lief. Die einzelnen rechten Spinner, die ihre bisher harmlosen Mutproben an unseren Hauseingängen dokumentieren und der Überfall von drei Nazis auf eine junge Frau am 15. Februar in der Nähe vom S-Bahnhof Frankfurter Allee (4) sind ebenso Vorboten für Schlimmeres. Die Zeit, in der diese Art Aufmerksamkeit vernachlässigt werden konnte, ist vorbei, spätestens seit der Ex-Bundespolizist Nick Hein in seinem Video, in dem unter anderem Tom Schreiber von der SPD und Burghardt Dregger von der CDU auftreten, im Hausflur der Rigaer94 Nazi-Parolen (AZAB – All Zecken Are Bastards) sprühte und Angriffspunkte für mögliche Anschläge auf das Haus aufzeigte. Die gute Vernetzung seiner Kreise belegt er persönlich dadurch, dass er ein als Verschlusssache eingestuftes Dokument veröffentlicht, in dem bisher nicht bekannte Informationen veröffentlicht wurden. Weitere Belege für unsere Annahme eines bevorstehenden Angriffs sind die faschistischen Drohbriefe vom Staatsschutzes Ende 2017 sowie die erneuten Leaks von persönlichen Daten im Spiegel, welche dem selben Quellenkreis entspringen dürften.
Dazu kommt, dass diese Kreise auch an den sehr einflussreichen Stellen sitzen. So wissen wir, dass die Mit-Verfasserin der Drohbriefe in der Auswerteeinheit des Staatsschutzes sitzt, in dem permanent Personendossiers angelegt werden, welche ausschlaggebend für die Klassifizierung von Gefährdern sind. Die Einstufung einer Person als Gefährder ist nicht nur eine öffentlichkeitswirksame Stigmatisierung sondern auch eine weitgehende Auslieferung unter polizeiliche Willkür. Ohne richterliche Aufsicht kann der Staatsschutzapparat damit hemmungslos persönliche Daten des Gefährders und seines gesamten Umfelds sammeln, welche damit direkt bei den Nazis landen. Unseren Kenntnissen nach hat der Staatsschutz die Einstufung von drei Personen aus dem Nordkiez als Gefährder beim BKA erwirkt.
Es ist also keine Prophezeitung sondern eine bereits eingetretene Tatsache, dass sich der Polizeiapparat verselbstständigt hat. Für uns ist das nicht erstaunlich und nicht neu, da unser antifaschistisches Bewusstsein auf Lehren aus der Vergangenheit und logischen Überlegungen zur Rolle des Staates aufbaut. Die Relevanz dieser Tatsachen rührt daher, dass sie offensichtlich sind und mittlerweile von Teilen des bürgerlichen Spektrums anerkannt werden. Wie auch der entsichern-Kongress zeigt, besteht die Möglichkeit mit unseren Positionen auf bürgerliche Diskurse Einfluss zu nehmen oder gar eine antifaschistische Allianz aufzubauen. Was wir brauchen ist daher eine Debatte mit dem Ziel einer klaren Tendenz in dieser Frage.
Für uns ist soweit klar, dass die Enthüllungen und das Bewusstsein über den tiefen Staat nur möglich sind, wenn wir ihn mit unseren Kämpfen aus der Reserve locken. Dazu haben wir als Kiez-Projekt einen Beitrag geleistet. Der Fakt, dass wir zu einem allgemeinen Symbol für staatliches Versagen geworden sind und dementsprechend bedroht sind, bedeutet für uns, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben mit dem Risiko, Ziel von rechten Anschlägen zu werden. Die Morde in Hanau geben uns zu Denken, zumal der Attentäter aus der selben Szene stammt, der auch der Amok-Läufer aus Halle angehört. Dieser hatte in seinem Manifest neben jüdischen und migrantischen Anschlagszielen auch linke Strukturen erwähnt. Was diesbezüglich nicht in Frage kommen darf, ist das Annehmen einer Opfer-Rolle, die die Instrumentalisierung unseres klar staatsfeindlichen Kampfes für linksliberale Ideen mit oberflächlichen antifaschistischen Inhalten ermöglichen würde. Stattdessen gilt es, den antifaschistischen à l’arme auszulösen, nicht der Vergangenheit ohne AfD nachtrauernd, sondern den Sturz des Systems erkämpfend.
Der Weg dahin führt uns über die rebellischen Kieze, also die Revolution von Unten wie sie derzeit auch in Connewitz formuliert wird: „[Diese Gebiete] sind existentiell für die Selbstorganisierung der Bevölkerung, die die Umwälzung der Verhältnisse zum Ziel hat. In ihnen können neue Formen erprobt werden, wie man diskutiert, streitet, kämpft, sich organisiert und kennenlernt. Die Synthese eines von staatlicher Kontrolle befreiten Raumes mit den kämpfenden Kollektiven und Individuen, die darin wohnen, und der Selbstorganisation des Lebens birgt die Möglichkeit sich von der kapitalistischen Ausbeutungslogik zu befreien und den Staat zu zersetzen. Aus dieser Verbindung können sich neue revolutionäre Keimzellen bilden, aus denen befreiende Gesellschaftsmodelle entstehen können. Rojava, Chiapas, Exarchia, die Gemeindeversammlungen der Gelbwesten und der chilenischen Bevölkerung sind solche Versuche.“ (5)
Um diesen Weg einzuschlagen, dürfen wir nicht weiter warten, bis wir wieder in der defensiven Position sind. Das bedeutet für diesen rebellischen Kiez, der sich als stadtweites Projekt der Bewegung versteht, vor der nächsten Räumungsverhandlung gegen die Liebig34 oder die Rigaer94 weiter durchzustarten. Die letzten Monate haben neuen Schwung gebracht, der jetzt stetig zunehmen muss. Dabei geht es einerseits darum, den politischen Preis für staatliche Offensiven so hoch zu setzen, dass sie ausbleiben. Das Ziel ist vorerst, diese Wahlperiode ohne Räumung hier im Kiez zu beenden. Für die anderen bedrohten Berliner Projekte können wir dieses Ziel nicht herausgeben, da uns die Zuversicht dafür fehlt. Für diese braucht es klare Ansagen aus deren engeren Strukturen. Uns geht es hier weiter darum, die in den letzten Jahren gewonnene politische Stärke zu halten, hier gewonnene Erfahrungen mit dem Rest der Bewegung zu teilen und natürlich dem Staat noch weitere Handlungsoptionen zu entziehen. Es reicht nicht, dass die Polizei unsere Häuser fürchtet oder zu manchen Anlässen wie bei der Linksunten-Demo in Leipzig oder bei den Auseinandersetzungen nach der Demo zum Mord an Maria lieber einen Gang zurückschaltet. Wir müssen das Bewusstsein darüber verbreiten, dass der Staat im Auftrag des kapitalistischen Friedens und Kriegs mordet und wir müssen unsere Nachbarschaften zu Orten machen, in die sich keine Polizei mehr hineintraut. Die größte Herausforderung innerhalb der Nachbarschaften ist es, Zuversicht in die eigene Stärke und Wichtigkeit aufzubauen. Außerhalb der etablierten ZADs, in den Teilen der politischen Szene, die keine Räume besetzt und verteidigt, hat es sich ebenfalls als schwierig und wichtig gezeigt, Möglichkeiten zur Unterstützung und Identifikation zu geben. Dabei geht es darum, Projekte wie unseren Kiez als ganzheitliches kämpferisches Konzept als Alternative zu Feierabend- und Feuerwehr-Politik wahrnehmbar und auch erstrebenswert zu machen. Dann sollte es auch ein realistisches Ziel sein, die Teilnehmer*innenzahlen der Demonstrationen von 2016 (> 5000) zu toppen und die dezentralen Aktionen auszuweiten.
Was die Deklarierung der kommenden Monate bis zur nächsten Wahl als heiße Phase angeht, so wollen wir damit nicht den Glauben verbreiten, unter einer rechten Regierung würde die Bewegung automatisch wieder größer werden. Dem selben Irrglauben ist die anarchistische Bewegung in Griechenland anheimgefallen, als sie unter der „linksradikalen“ Syrizaregierung ein Bewegungstief erlebte. Von dort können wir lernen, dass die linken Regierungen meist gute Vorarbeit für rechte Regierungen leisten. Es sei denn, die Menschen sind in der Lage, bestehende Freiheiten wie Exarchia oder den Nordkiez zur Vorbereitung zu nutzen.
Um es klar zu sagen: wir erwarten von dieser Rot-Rot-Grünen Regierung mit hoher Sicherheit Anläufe zu Häuserräumungen. Generell, aber insbesondere im Falle, dass der offizielle Staat dazu nicht in der Lage sein sollte, erwarten wir Angriffe von Faschisten des tiefen Staates. Nach Möglichkeiten sollten wir keine Unterscheidung machen, wenn wir darauf reagieren werden.
Sollte es wider Erwarten zu keinen Angriffen bis Mitte 2021 kommen, dann werden wir unter der nächsten, vielleicht rechten Regierung damit rechnen müssen. Anderthalb Jahre sind genug Zeit, um aus Phasen der gesteigerten Aktivität wie wir sie gerade feststellen wieder zurückzufallen in die staatlich verordnete Lethargie. Diese anderthalb Jahre sollten stattdessen auch unter widrigen Umständen dazu genutzt werden, sich auf eine andere Regierung vorzubereiten, die sich vielleicht eher an Henkels Konzepten entlanghangelt. So oder so müssen wir realisieren, dass Berlin wie Leipzig Inseln des liberalen Bürgertums sind und dessen Isolierung derzeit galoppiert. Es gibt starke Tendenzen der bundespolitischen Einflussnahme auf unsere lokalen Konflikte. Aus der Geschichte wissen wir, dass das städtische Bürgertum kaum Abwehrkräfte gegen den provinziellen Faschismus hat, der durch Innenminister wie Seehofer oder in den sozialen Netzwerken Einzug hält. Möglicherweise werden wir unversehens von Kräften überrollt, die wir nicht auf dem Schirm haben. So wie beim Verbot von linksunten, welches für unsere Häuser einiges an Relevanz besitzt.
Frühere Stellungnahmen aus dem Nordkiez:
-Analyse & Kritik über und von dem ehemaligen Plenum der (Haus)-projekte des Friedrichshainer Nordkiez
www.trend.infopartisan.net/trd0217/t110217.html-Interview mit einigen aus der Rigaer Straße im Gefangenen Info
gefangenen.info/der-kiez-rigaer-str-in-berlin-friedrichshain/Fußnoten:
(1) dazu: gefahrengebiet.noblogs.org
(2) z.B. One Struggle, One Fight 2018
enoughisenough14.org/2018/09/30/berlin-one-struggle-one-fight-weide63-liebig34-stay/oder die Knallige Demo für bedrohte Projekte 2019
https://de.indymedia.org/node/43855(3) vor kurzem Erschien dazu ein Artikel mit einer Umfangreichen Sammlung derartiger Medieninhalte: https://de.indymedia.org/node/66212
(4) im Internet gibt es dazu keine Berichte, nur im Kiez wurde dazu informiert; siehe Bilderanhang
(5) aus „Wir hielten unser Wort“ https://de.indymedia.org/node/65409
Quelle: Indymedia (Tor), Spiegelung (Tor)