Stuttgart, 21. Juni: Die Einkaufsmeile liegt in Scherben, die Auslagen geplündert und eine ganze Generation von Bullen versteht die Welt nicht mehr. Vom Ministerpräsidenten bis zum letzten eifrigen Häuslebauer nur ungläubige Verständnislosigkeit über die Gewalt und den fast schon freudigen Hass, die die Stadt von Daimler und Porsche über Nacht heimgesucht haben. Eine banale Personenkontrolle soll der Auslöser für den Stuttgarter Krawall gewesen sein und natürlich kann einem Oberbürgermeister oder Polizeipräsidenten ein solcher Zusammenhang nur abstrus vorkommen. Alle die allerdings schon einmal erleben mussten, wie es ist, mit etwas zu dunkler Haut den Stuttgarter Haubtbahnhof zu betreten, dürften die Bedeutung dieser Erzählung klar vor Augen haben: Die abendliche Kontrolle eines Jugendlichen durch Bullen mag zwar tatsächlich eine Banalität darstellen – aufgrund ihrer Alltäglichkeit – und dennoch ist in ihr zugleich die gesamte Gewalt enthalten, welche die bürgerliche Gesellschaft jenen androht, die als überflüssig oder fremd gebrandmarkt wurden.
Weitere Erklärungsversuche oder Diskussionen über Legitimität und politischen Gehalt solch „spontaner“ Krawalle erübrigen sich und können getrost den soziologischen Seminaren des akademischen Nachwuchses überlassen werden. Wir sehen unsere Aufgabe vielmehr darin, so gut es geht an der Seite derer zu stehen, die von dieser Gesellschaft, ihrem Staat und seinen Bullen nichts als Erniedrigung und Gewalt zu erwarten haben. Sei es auf der Straße oder in der nächtlichen Aktion.
Eine radikale Linke, die sich in Distanz zu Ereignissen wie in Stuttgart übt und sich in der Vergangenheit bei ähnlichen Momenten der Herrschenden Ordnung mit Distanzierungen anbiederte, übersieht offenbar, dass der Staat seine Feindbestimmungen bereits um einiges klarer gezogen hat als sie selbst: Einer der ersten Gefangenen des Stuttgarter Krawalls wurde der Presse barfuß, mit Fußfessel und Sack über dem Kopf vorgeführt. Eine Bildsprache, deren Bezug zu Guantanamo und Abu Ghraib von den Verantwortlichen vielleicht nicht unbedingt gewollt war, jedoch trotzdem kein Zufall ist. Hier hält keine Gesellschaft Gericht über eines ihrer Mitglieder, hier wird der Sieg über einen feindlichen Fremden zelebriert. Ein Spektakel der Unterwerfung, dass dem aufgeschreckten Spießbürgertum sein Gefühl der Kontrolle zurückgeben soll und alle anderen daran erinnert, welcher Platz ihnen in dieser Welt zugedacht ist.Das Hochhalten deutscher Tradition soll auch in Baden-Württemberg nicht der AfD überlassen werden: So wird der Öffentlichkeit versichert, dass „Deutsch-Sein“ zuallererst immernoch bei der Hautfarbe anfängt und im zweiten Schritt, wie damals, über Stammbaurecherche zurück verfolgt werden kann. Tübingens rassistischer Bürgermeister Palmer über die Krawallmacher: „Von diesen wiederum haben nahezu alle ein Aussehen, das man im Polizeibericht als ‚dunkelhäutig‘ oder ‚südländisch‘ beschreiben würde. ‚Weiße Männer‘ kann ich kaum entdecken.“ Folgerichtig fragt die Stuttgarter Polizei bundesweit Standes-/und Landratsämter an, um einen eventuellen Migrationshintergrund der Tatverdächtigen zutage zu fördern.
Wir haben in der Nacht auf den 31.Juli 2020 den Prunkbau der Landesvertretung Baden-Württemberg am Tiergarten besucht. Mit Steinen wurde der Eingangsbereich zerstört und mit Farbe die weiße Fassade beschmiert. Amüsant, dass Objektschützer*innen ihre Abwesenheit verklären und den Bullen meldeten uns vom Objekt vertrieben zu haben. Auch Botschaftsviertel sind angreifbar!
Die Ermittlungsgruppe ‚Eckensee‘ zählt inzwischen bis zu 117 Bullen, es gibt schon schon etliche Menschen in U-Haft und über 50 ermittelte Tatverdächtige. Wir schicken euch mit diesem Angriff Kraft hinter die Mauern! und hoffen, dass die Angeklagten Zugang zu Rote-Hilfe-Strukturen kriegen.
Wir grüßen auch den Gefangenen Jo in der Festung Stuttgart-Stammheim, der dort seit Anfang Juli in U-Haft sitz: „Am frühen Donnerstagmorgen stürmten hunderte Bullen medienwirksam mehrere Wohnungen im Großraum Stuttgart, Karlsruhe und Tübingen. Ein Antifaschist sitzt seit dem in U-Haft. Vorausgegangen war dem Ganzen eine Auseinandersetzung zwischen Antifas und den Nazis von „Zentrum Automobil“ am Rande einer „Querdenken“-Demo auf dem Wasen. Einer der Faschisten wurde dabei schwerer verletzt.Beim „Zentrum Automobil“ handelt es sich mit Nichten um eine Gewerkschaft, sondern um ein Sammelbecken Faschisten aller coleur. Die meisten Führungspersonen waren oder sind aktive Nazis und die Kontakte in die militante Naziszene – konkret: ins direkte NSU-Umfeld und zu „Blood&Honor“ – sind lange bekannt.Auch wenn manche die Ebene der Auseinandersetzung kritisch sehen – unsere Aufgabe als antifaschistische Bewegung ist es jetzt uns solidarisch mit den Betroffenen zu zeigen.“ (antifa-stuttgart.org).
AG
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Maskierte haben die Landesvertretung von Baden-Württemberg in Berlin mit Steinen und Farbflaschen beworfen.
Objektschützer beobachteten laut Polizei in der Nacht zum Freitag bis zu zehn dunkel gekleidete Personen, die Steine und mit Farbe gefüllte Flaschen gegen die Eingangstüren sowie gegen die Fassade warfen. Die Unbekannten flüchteten. Der polizeiliche Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen, da ein politisches Motiv nicht ausgeschlossen wird.
„Wir haben keine Erkenntnisse, in welche Richtung es geht“, sagte ein Polizeisprecher.
Quelle: BZ