Berlin, 1. Mai 2023
In der Nacht vom 1. Mai wollten wir die kämpferische Erinnerung des Anarchismus aufleben lassen. Während die befriedete Party langsam abebbte, griffen wir mit Farbe und Steinen den Berliner Dom an.
Der Berliner Dom ist eng mit dem Aufstieg des deutschen Imperialismus verbunden. In seiner heutigen Form wurde er zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert erbaut und sollte mit den großen Kirchen anderer Nationen konkurrieren und so Größe des Deutschen Reiches zu demonstrieren, das einen größeren Anteil am Kuchen des europäischen Kolonialismus beanspruchte. Vor dem Dom versammelten sich die Massen in frenetischer Verehrung, als Deutschland 1914 in den Krieg eintrat, von Gott begleitet wurden sie in den Schützengräben abgeschlachtet. „Für deutsche Werte, gegen die Barbarei“, war die Parole, die von der Kanzel geschrien wurde. Welche deutschen Werte die Kirchenmänner meinten, zeigte sich einige Jahre später. In einer Zeit, in der sich der faschistische Charakter des Staates nicht mehr hinter einem demokratischen Anschein zu verstecken versucht, ist es nur passend, dass der Dom neben dem wiederaufgebauten Schloss zum Herzstück des wiederbelebten preußischen Disneylands in der Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands wurde.
Der Wiederaufbau ist eine Touristenattraktion, vergessen sind die Massaker und die Plünderungen. Im neuen Herzen der Stadt will man „neue Mauern für den Besuch Berlins schaffen“. Doch im „neuen kulturellen Zentrum der Stadt“ taucht der Mensch, der in der Stadt lebt, kaum auf, wenn er nicht gerade für das Vergnügen der Touristen prekär arbeitet. 10,4 Millionen Touristen gehen dort jedes Jahr umher, völlig losgelöst von unserer Realität. Umgeben von teuren Restaurants, Kunstgalerien und Souvenirläden, während wir zu einem Gentrifizierungsprozess verdammt sind, der uns aus unseren Vierteln vertreibt und unsere sozialen Netze zerstört. Diejenigen, die sich um uns kümmern und uns zusammenhalten.
In der gesamten Geschichte der modernen Staaten sind religiöse Institutionen und der Staat voneinander abhängig, um ihre Macht über Individuen und Kollektive zu behaupten. Sie versuchen, unsere Körper zu kontrollieren, der Staat mit seinen Gesetzen und die Kirche mit ihrer Moral. Nach der Familie ist die Religion mit ihren Kirchen die erste Institution, die uns in die kapitalistische Gesellschaft einführt. Die Kirche bedient sich der Almosen, um die Armut zu kontrollieren und das Klassensystem aufrechtzuerhalten, so erhalten sie ihre Machtposition. Almosen sind keine Solidarität! Dazu passt, dass die Kirche der größte Arbeitgeber in Deutschland ist, 1,3 Millionen Arbeitnehmer, die sich immer noch nicht gewerkschaftlich organisieren können.
Seit dem Beginn des europäischen kapitalistisch-kolonialen Projekts wurden religiöse Institutionen als ein profitables Instrument definiert, das in der Lage ist, das aus den Kolonien gestohlene Gold anzuhäufen und die natürlichen Ressourcen zu privatisieren.
Sie erfüllten die Rolle, eurozentristische kapitalistische Moral und Werte in der ganzen Welt zu verbreiten. Die Kirche als kapitalistische religiöse Institution war und ist bis heute das wahre Kulturministerium aller europäischen Nationalstaaten. Die Moderne und ihre Fassade der Säkularität haben die europäische Gesellschaft, die ebenso ignorant und arrogant ist, in das einfachste Terrain der immerwährenden Herrschaft verwandelt. Massen von Menschen, die davon überzeugt sind, überlegen zu sein, erstarrt in der Vorstellung, ein privilegiertes Leben zu führen, ein viel besseres Leben als „die anderen“. Eine Masse von Menschen, die vergessen haben, wie wichtig es ist, sich selbst zu definieren, sich selbst zu organisieren und für freies Denken zu kämpfen.
Die Kirchen (und zwar alle) haben die Praxis der Ausrottung von Volksgruppen im globalen Süden erdacht und dazu beigetragen. Bis heute unterhalten die deutschen Kirchen und damit der deutsche Staat Konzentrationslager in Südamerika, in denen die indigene Bevölkerung durch das Verbot der Selbstbestimmung eingesperrt, kulturell, psychisch und physisch gefoltert wird. Die Menschen werden zu einer hierarchischen sozialen Organisation gezwungen, müssen sich heteronormativen und monogamen Beziehungen unterwerfen, die die Idee der Männlichkeit als geschlechtliche Überlegenheit aufzwingen, und werden genötigt, für andere im Austausch für eine Geldleistung zu arbeiten.
Gleichzeitig ist Deutschland ein weltweites Musterbeispiel eines religiösen Staates.
35 Euro für die Pille des Tages danach, das ist kein Privileg, das ist der christliche Staat.
18% weniger Durchschnittsgehalt für eine FLINTA, das ist kein Privileg, das ist der christliche Staat.
Staatlich geregelter Zugang zur Abtreibung ist kein Privileg, es ist der christliche Staat.
Die Zunahme der heteronormativen und kleinbürgerlichen Familien, in denen der Mann arbeiten geht und die Frau den Prenzlauerberg mit dem Kinderwagen „genießt“, ist kein Privileg und keine freie Entscheidung, es ist der christliche Staat.
Alle 3 Tage ein Femizid: der christliche Staat!
Weltweit haben feministische und anarchistische Genossinnen und Genossen nicht vergessen, dass der Kampf gegen Staat und Patriarchat ein Kampf gegen die Institution der Kirche ist. Dass der Kampf für die Befreiung ein Kampf gegen alle religiösen Institutionen ist. Wir senden eine Umarmung an Monica und Francisco, und Kraft für die neue Runde ihres Gerichtsverfahrens. Wir senden Umarmungen an alle inhaftierten Genossen. Kein Vergeben, kein Vergessen.
Wir erwarten nicht, dass die Medien unsere Ideen in der Praxis wiedergeben, im Gegenteil, wir erwarten, ihr Schweigen. Wir verstehen jeden Angriff auf den Kern des Systems als einen Funken, um die gemeinsamen Flammen des Aufstandes zu verbreiten. Sie fürchten die Nachahmung, wir lächeln, wenn wir daran denken.
All churches are targets!
Einige Anarchistinnen
Quelle: Kontrapolis.info (Tor)